Beate Bettenhausen macht sich Gedanken über Schule und Inklusion

Jeden Monat schreiben Projektträger zu einem bestimmten Stichwort. Im August macht sich Beate Bettenhausen vom Verein Helfende Hände Gedanken über Schule und Inklusion.

Die pädagogischen und therapeutischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter machen Bildungsinhalte mit allen Sinnen erfahrbar, erkennen und fördern kleinste Fortschritte und vermitteln so den Schülerinnen und Schülern mehr Eigenständigkeit und Selbstbewusstsein. (© Foto: Helfende Hände e.V./Fabian Helmich)

„Endlich Ferien“, so schallt es zu Beginn der Sommerferien über viele Schulhöfe. Am Ende der Schulzeit hört man von Schülerinnen und Schülern oft sogar ein „Hurra, nie wieder Schule!“ und auch manche Eltern stimmen erleichtert zu.

Die Schule prägt das Leben aller Kinder und Jugendlichen. Hier verbringen sie viel Zeit, erleben Freude und Frust beim Lernen und schließen Freundschaften. Und: Sie müssen Können und Wissen erlangen, Lernziele erreichen und ihre Leistungen im Zeugnis beurteilen lassen.

Kinder mit schweren und komplexen Behinderungen und ihre Familien erleben die Schulzeit dagegen oft völlig anders. Für sie ist Schule ein Ort der Geborgenheit und des Angenommen-Seins. Hier können die Kinder in ihrem Rhythmus lernen und ihre individuellen Fähigkeiten entwickeln. Ihre Eltern haben die Gewissheit, dass ihr Kind mit seinen Einschränkungen, aber vor allem auch mit all seinen vielfältigen Potenzialen, wahrgenommen und gefördert wird. Der tägliche Rhythmus der Schule ist ein verlässlicher Eckpfeiler und eine wichtige Entlastung für Eltern, deren Kinder weiterhin zuhause in der Familie leben und rund um die Uhr Pflege und Betreuung benötigen.

Einen solchen Ort der Gemeinschaft mit einem fördernden Lernumfeld zu schaffen, haben sich die Helfenden Hände in München vor über 50 Jahren zum Ziel gesetzt. Es waren Eltern von Kindern mit körperlichen, geistigen und Sinnesbeeinträchtigungen, für die es zur damaligen Zeit kein geeignetes Angebot gab. Die allgemeine Schulpflicht wurde in Deutschland zwar bereits 1919 eingeführt, doch Kinder mit Behinderung galten noch bis weit in die 1960er Jahre als „nicht bildungsfähig“.

Geeignete Räume - bis hin zum Schulschwimmbad - sind ein Erfolgsfaktor für gelingendes Lernen (© Foto: Fabian Helmich / Helfende Hände)

Zum Glück sind Wissenschaft, Praxis und Recht inzwischen weiter. Dass auch Kinder mit sehr schweren Beeinträchtigungen die Welt entdecken wollen und Neues lernen können, steht heute außer Frage. Doch wie kann man sich Lernen vorstellen, wenn ein Kind nicht sprechen, sich nur wenig bewegen und nur sehr basale Zusammenhänge erkennen kann? Wenn dazu epileptische oder andere Anfälle das Kind aus seinem Tun reißen? Ein wichtiger Schlüssel dafür ist ein fachlich kompetentes, kreatives und einfühlsames Team aus pädagogischen und therapeutischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ihnen gelingt es, Bildungsinhalte mit allen Sinnen erfahrbar zu machen, kleinste Fortschritte zu erkennen und zu fördern und so den Schülerinnen und Schülern mehr Eigenständigkeit und Selbstbewusstsein zu vermitteln.

Ein weiterer wichtiger Faktor, damit dies gelingt, sind geeignete Räume. Barrierefreie Räume, die ausreichend Platz bieten, um mit dem Rollstuhl oder dem Therapierad herumzukurven oder um sich in der Pause auf einem Spezialsofa auszustrecken. Räume für pädagogische Einzelförderung und für verschiedenste Therapieangebote bis hin zu einem Schulschwimmbad. Nur so gelingt ganzheitliches Lernen im integrierten Modell von Schule, Heilpädagogischer Tagesstätte und Therapieabteilung unter einem Dach.

Aber wie ist das mit der Inklusion? Gehen heute nicht alle Kinder, ob mit oder ohne Behinderung, auf dieselbe Schule? Selbstverständlich wünschen sich auch Familien mit einem schwer mehrfach behinderten Kind, dass sie und ihr Kind überall dazu gehören und ganz uneingeschränkt Teil unserer Gesellschaft sind. Die UN-Behindertenrechtskonvention, die die Bundesrepublik Deutschland 2009 unterzeichnet hat, ist das rechtliche Fundament dafür. In der Praxis sind Teilhabe und Inklusion jedoch noch nicht bedingungslos und überall umgesetzt. Denn um wirklich inkludiert zu sein, um zu lernen und sich als selbstwirksam zu erleben, braucht es viele qualifizierte helfende Hände. Daher entscheiden sich oft sogar Eltern, deren komplex behindertes Kind zunächst einen integrativen Kindergarten besucht hat, anschließend sehr bewusst für das ganztägige Förderangebot bei den Helfenden Händen, das - ganz inklusiv - Bildung, Therapie, Freizeit und Betreuung umfasst.

Der Neubau des Förderzentrums wurde am 15. Juli 2023 feierlich eröffnet. (© Foto: Fabian Helmich / Helfende Hände)

Der am 15. Juli 2023 eröffnete Neubau des Förderzentrums bietet ideale Bedingungen für solch ein Angebot. Eine kleine Organisation wie Helfende Hände kann ein solches Mammutprojekt nur mit viel Unterstützung stemmen. Staatliche Förderungen sind die Basis, ohne die es nicht geht, und sichern die Grundversorgung. Doch ein entscheidendes „Mehr“ an Möglichkeiten und Erlebnisqualität, das so enorm wichtig ist für Kinder mit hohem Förderbedarf, erlauben die großartigen Fördermittel von Sternstunden. Für die Kinder bei Helfende Hände und ihre Familien ist es toll zu spüren, dass Sternstunden an ihrer Seite ist.

Als Mutter eines inzwischen 30-jährigen jungen Mannes mit schwerer Behinderung, der seine Schulzeit bei Helfende Hände absolviert hat, habe ich selbst erlebt, wie unglaublich stärkend dieses Angebot ist. Dafür bin ich sehr dankbar und halte seine Schulzeit in wunderbarer Erinnerung. Unser Sohn ist glücklich, selbstbewusst und immer noch wissbegierig – was kann man sich als Eltern mehr für sein Kind wünschen.

Beate Bettenhausen ist Vorständin des Helfende Hände e.V. (© Foto: Helfende Hände e.V.)

Meldung erstellt am: 23. August 2023