Neubau eines Präventionszentrums für psychische Gesundheit

Psychische Erkrankungen beginnen früh in Kindheit und Jugend und haben einen lebenslangen Verlauf. Die Würzburger Universitätsklinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie behandelt mehr als 3500 psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche im Jahr stationär, tagesklinisch oder ambulant. Im Interview erzählt uns Prof. Dr. Romanos, Klinikdirektor und Vorsitzender des Menschenskinder e.V., wie den Mädchen und Jungen geholfen werden kann. 

Projekt Steckbrief

ProjektdurchführungMenschenskinder e.V.

c/o Klinik und Poliklinik für Kinder- und
Jugendpsychiatrie, Psychosomatik 
und Psychotherapie
Füchsleinstraße 15
97080 Würzburg

Aktionsjahr2019
OrtUnterfranken, Würzburg
Fördersumme1.000.000,00 €
Junge (Kopf abgeschnitten) umklammert Box-Sack
© Foto: Menschenskinder e.V.

Psychische Probleme zählen zu den häufigsten Krankheiten im Kindes- und Jugendalter. Viele dieser Patienten haben ein Leben lang mit den Folgen zu kämpfen. Umso wichtiger ist es, die Störungen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Deshalb errichtet der Verein Menschenskinder in Würzburg mit finanzieller Hilfe von Sternstunden ein Präventionszentrum für psychische Gesundheit, das Ursachen erforscht und innovative Präventionsprogramme anbietet. Mädchen und Jungen werden zum Beispiel gezielt trainiert, um mit Stresssituationen und Ängsten besser umzugehen. 

Fünf Fragen an...

Prof. Dr. med. Marcel Romanos, Klinikdirektor der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Würzburg und Vorsitzender des Vereins Menschenskinder. 

Wie viele Kinder und Jugendliche in Deutschland sind seelisch erkrankt? 

Das Robert-Koch-Institut führt seit einigen Jahren regelmässig eine Studie durch, die uns sehr gut Auskunft gibt, wie viele Kinder und Jugendliche in Deutschland Symptome psychischer Störungen aufweisen. Die Zahl bleibt über die Jahre weitgehend stabil bei knapp 20 Prozent. Das heisst, dass jedes fünfte Kind in Deutschland psychische Probleme oder Verhaltensauffälligkeiten hat, etwa jedes Zehnte hat schätzungsweise eine behandlungsbedürftige psychische Störung. Die Rate scheint in Deutschland zwar nicht mehr zuzunehmen, aber wir können an den Behandlungszahlen der Krankenkassen sehen, dass psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen immer häufiger erkannt werden. 

Um welche Erkrankungen handelt es sich und welche ist die häufigste?

Es gibt ein breites Spektrum, denn Kinder können genauso schwer seelisch krank werden wie Erwachsene. Sehr häufig sind Angsterkrankungen und Depression, die aber wahrscheinlich zu oft nicht oder zu spät erkannt und richtig behandelt werden. Viele Kinder und Jugendliche mit emotionalen Störungen zeigen auch selbstverletzendes Verhalten, das noch zu selten angemessen behandelt wird. Weiterhin sind ADHS und Sozialverhaltensstörungen sehr häufig. Die werden zwar oft diagnostiziert, allerdings bestehen hier immer noch erhebliche Mängel in der Versorgung trotz vieler Bemühungen in den letzten Jahrzehnten. Etwas seltener, dafür aber nicht weniger einschneidend sind Erkrankungen wie Essstörungen oder Zwangserkrankungen, die oft zu erheblichen Beeinträchtigungen im Alltag führen. Schließlich gibt es die Kinder mit Autismus und geistiger Behinderung, die noch mehr als andere aufgrund ihrer Einschränkungen auf Hilfe und Unterstützung in der Alltagsbewältigung angewiesen sind. Dieses große Spektrum an seelischen Erkrankungen ist sicherlich nicht vollständig, aber es lässt erahnen, wie vielschichtig und komplex die Probleme der einzelnen Kinder sein können, insbesondere weil oftmals mehrere Störungsbilder in der gleichen Person gemeinsam auftreten. 

Wie kann diesen Mädchen und Jungen geholfen werden? 

Es gibt eine ganze Reihe von therapeutischen Möglichkeiten und Verfahren, allerdings bestehen oft falsche Vorstellungen davon in der Bevölkerung. Der Begriff Psychotherapie umfasst Ansätze, die zum Teil ähnliche, manchmal auch ganz unterschiedliche Elemente umfassen. Mittlerweile ist die Verhaltenstherapie am weitesten verbreitet und gut untersucht, aber wichtiger als der Name des Verfahrens ist, ob die Therapie gut evaluiert und als wirksam nachgewiesen ist. Bei vielen Verfahren wird die Familie stark mit einbezogen, beispielsweise in Form von Elterntrainings oder auch bei systematischen Therapieansätzen. Manchmal werden auch begleitende Verfahren wie Bewegungs- oder Kunsttherapie zusätzlich angeboten. Nicht bei allen Störungsbildern ist eine Psychotherapie allein ausreichend. Erkrankungen wie Schizophrenie oder die bipolare Störung, die in der Adoleszenz auftreten können, müssen meist medikamentös behandelt werden. Auch bei der ADHS wissen wir sehr genau, dass Medikamente für die Konzentrationsstörung sehr gut helfen, allerdings nicht automatisch für die begleitende Verhaltensstörung. Wichtig ist zu wissen, was wofür hilft. Dazu gibt es Leitlinien der Fachgesellschaften und qualitativ hochwertige Studien, die einem hier mehr Klarheit geben. Schließlich sind oft zusätzliche Hilfestellungen erforderlich, beispielsweise in Form von einem Erziehungsbeistand oder einer heilpädagogischen Tagesstätte. Diese Jugendhilfemaßnahmen dienen der Wiedereingliederung in den Alltag, wenn Kinder durch ihre psychische Erkrankung sozial den Anschluss verlieren. 

© Foto: Menschenskinder e.V.

Gibt es Faktoren, die für die Genesung/Therapie besonders wichtig sind?

Die Wahl der Therapie muss davon abhängen, welche Erkrankung das Kind hat und in welchem Schweregrad diese vorliegt. Ob ein Kind stationär, tagesklinisch oder ambulant behandelt werden muss, hängt manchmal zusätzlich davon ab, welche Rahmenbedingungen bestehen, also beispielsweise ob Therapieempfehlungen ambulant in der Familie überhaupt umgesetzt werden können. Die Therapieplanung ist ein komplizierter Prozess, den der Therapeut zusammen mit der Familie entwickeln und ausgestalten muss. Gegen Widerstand ist eine Therapie kaum aussichtsreich. Wichtig vor Therapiebeginn ist daher, ob Bereitschaft dazu besteht und die Familien ein sogenanntes Commitment haben. Die Therapie selbst ist oft anstrengend und beschwerlich und man muss einen hohen inneren Druck verspüren, um etwas im Leben verändern zu wollen. 
 

Was ist Ihr persönlicher Antrieb?

Mich haben schon vor dem Studium der menschliche Geist und das Gehirn fasziniert und in der Schule wollte ich Hirnforscher werden. Genauso toll fand ich dann später die Quantenphysik und bin von der Hirnforschung zunächst abgekommen. Es wurde dann doch das Medizinstudium und als ich mich schließlich entscheiden musste, welche Fachrichtung ich verfolgen will, hatte ich zunächst Sorge, was meine Aufgabe als Kinder- und Jugendpsychiater sein könnte. Ich konnte mir schwer vorstellen, wie es eine Aufgabe sein kann, Menschen „normal“ zu machen. Ich habe dann aber erkannt, dass die Familien und deren Kinder, die in die Klinik kommen, echte Probleme haben, massiv unter Druck sind und dringend Hilfe brauchen. Niemand wird von der Straße eingesammelt, weil er nicht einem Ideal entspricht, sondern wir arbeiten auf der Basis von Respekt und Vertrauen. Als ich das verstanden habe, war mir klar, dass ich diesen Weg einschlagen will. Die große Herausforderung der Zukunft besteht für mich darin, wirksame Angebote zu entwickeln, damit Kinder gestärkt werden und wir gemeinsam verhindern können, dass psychische Erkrankungen überhaupt entstehen.